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Claas Relotius Der Spiegel

Der Fall Claas Relotius – Der vorweihnachtliche Supergau für den seriösen Journalismus

Einige Tage vor Weihnachten, am 19. Dezember, sah sich das Nachrichtenmagazin Der Spiegel gezwungen, mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit zu gehen, die wie eine Bombe einschlug und die Medienwelt noch sehr lange beschäftigen wird: Claas Reloitus, vielfach ausgezeichneter Redakteur und Superstar des deutschsprachigen Journalismus, soll über Jahre hinweg systematisch Stories verfälscht haben. Der Bogen reicht von Ausschmückungen über Ergänzungen bis hin zu vorsätzlich erfundenen Geschichten. Der Spiegel kündigte umfassende Aufklärung an und beschäftigt sich seither täglich mit mehreren Stories mit dem Skandal, den Hintergründen und den Konsequenzen. Eine tiefergreifende Dokumentation des bisher Bekannten würde die Grenzen eines Blogbeitrages bei weitem sprengen und kann daher nur ansatzweise erfolgen. Es darf jedoch unterstellt werden, dass über den Fall noch sehr lange und sehr ausführlich berichtet werden wird. Daher hier nur die wichtigsten Eckpunkte.

Claas Relotius – Superstar des Journalismus

Claas Relotius ist nicht irgendein Redakteur, der Pressemeldungen mit Lokalkolorit zu Artikeln macht. Er ist kein Reporter eines Revolverblattes, der gerne auch einmal für die Story eine Anzeige beim Presserat riskiert. Er war der Superstar des deutschen Journalismus. 2013, 2015, 2016 und 2018 erhielt er den deutschen Reporterpreis, 2018 den Peter-Scholl-Latour-Preis der Ulrich-Wickert-Stiftung. Veröffentlicht hat er nicht irgendwo, sondern beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel, für den er vorerst sieben Jahre als freier und seit 2017 als fest angestellter Redakteur tätig war. Qualitätsmedien rissen sich um seine empathischen und tiefgehenden Reportagen von den Brennpunkten dieser Welt, die im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen. Besonders zynisch erscheint im Lichte der nun erhobenen Vorwürfe die Begründung für die Verleihung des deutschen Reporterpreises 2018 für einen Text „von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert.“

Die Konsequenzen des Falls

Die Konsequenzen des Falls Relotius für die Medienlandschaft sind mannigfaltig und in Ihrer Reichweite derzeit noch nicht absehbar. Bedingt durch seine langjährige erfolgreiche Tätigkeit als heiß begehrter Qualitäts-Journalist ziehen sich die veröffentlichten Artikel, die nachweislich manipuliert wurden, durch die gesamte deutschsprachige Landschaft der Qualitätsmedien. Auch in Österreich haben Datum und Profil Interviews von Claas Relotius als Zweitveröffentlichungen publiziert und müssen nun bangen, ob sie einer Authentizitätsprüfung standhalten werden. Der Spiegel selbst ruft nun quasi zu „sachdienlichen“ Hinweisen auf und belässt deswegen die meisten Reportagen von Claas Relotius im Netz, damit die Community an der Aufklärung mitarbeiten kann. Dies wiegt umso schwerer, als der Spiegel wie kaum ein anderes Blatt den Faktencheck seiner Reportagen nie bloß als Lippenbekenntnis gesehen hat. Schenkt man einem Artikel des Spiegel Glauben, der im Rahmen der Aufarbeitung nun veröffentlicht wurde, befasst sich hausintern ein ca. 60-köpfiges Team, genannt „Dok“, bestehend aus Wissenschatlern zahlloser Fachgebiete, mit dem Plausibilitätscheck jedes einzelnen Artikels, bevor er veröffentlicht wird. Da wird geprüft, ob es erwähnte Personen tatsächlich gibt, wie das Wetter an einem in der Reportage als „sonnig beschrieben Tag“ tatsächlich war, bei Reisen werden Distanzen geprüft, jede erdenkliche Situation wird so einer genauen Prüfung unterzogen. Schließlich hat das Haus ja einen Ruf zu verlieren, gilt es doch seit der bekannten Spiegel-Affäre des Jahres 1962 als Garant der Meinungsfreiheit und als Symbol für qualitativen Journalismus. Doch auch diese Sicherung stößt an ihre Grenzen: Dann nämlich, wenn ein Reporter im Rahmen seiner Recherche in den intimsten Bereich seiner Interviewpartner vorstößt und vertrauliche Gespräche führt, für die es keine Zeugen mehr gibt. Dort, wo sich die reine Reportage durch hintergründige Gespräche zu einem Stimmungsbild verdichtet. Und genau in diesem unüberprüfbaren Bereich hat das „System Relotius“, wie es mittlerweile genannt wird, funktioniert. Dort anzusetzen, um das Geschehene in Zukunft zu vermeiden, wird wohl nahezu unmöglich sein. In jedem Fall aber wird die Branche in Zukunft vorsichtiger sein müssen, wenn eine Reportage „zu schön ist, um wahr zu sein“. Denn, so die Branchenmeinung: Die Story muss stimmen, nicht stimmig sein.

Wie auch immer es in dieser Angelegenheit weitergeht, Sie, gewogene Leserin, gewogener Leser, werden von uns unaufgeregt und objektiv auf dem Laufenden gehalten.

Gregor Rehse

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Bei CLIP: Vertrieb *** Privat: Intellektueller Besserwisser und Semi-Nerd (LEGO, Architektur, IT)

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