Amoklauf in Graz als Auslöser
Die Bilder des Amoklaufs in Graz verbreiteten sich schneller als jede offizielle Meldung – ungefiltert, ungeprüft und oft auch falsch. Auf TikTok, Instagram und Telegram wurden sie millionenfach geteilt. Das Entsetzen über die Tat wird begleitet von einer neuen Dringlichkeit in der Debatte: Sollten es für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren ein Social-Media-Verbot geben?
Österreichs Medienminister Andreas Babler (SPÖ) fordert ein EU-weites Verbot für Personen unter 16 Jahren. Für ihn steht fest: „Kinder brauchen Schutzräume, keine toxischen Plattformen.” Auch andere Stimmen werden laut: So sieht die Funke-Verlegerin Becker in Social Media etwa einen rechtsfreien Raum, der Täter schützt, statt Opfer.
Australien als Vorbild
Australien ist diesen Weg bereits gegangen. Seit Ende 2024 ist es dort verboten, dass sich Kinder unter 16 Jahren in den sozialen Medien registrieren. Plattformbetreiber wie TikTok und Instagram sind verpflichtet, funktionierende Altersverifikationssysteme einzuführen – sonst drohen ihnen Millionenstrafen. Doch Expert*innen wie der deutsche Netzaktivist Markus Beckedahl warnen: „Technisch ist das kaum sauber umzusetzen. Jugendliche sind digitalen Systemen oft weit voraus.“
Die Kritik lautet: Verbot statt Bildung?
Auch aus Österreich kommen kritische Stimmen: Henrike Brandstötter, Mediensprecherin der NEOS, fordert anstelle pauschaler Altersgrenzen eine differenzierte Debatte. „Was genau wollen wir bekämpfen? Desinformation, toxische Schönheitsideale oder radikale Inhalte? Ein pauschales Verbot ist zu unpräzise und letztlich ineffektiv.“
Social Media: Chance oder Risiko?
Tatsächlich ist Social Media nicht per se gefährlich. Es kann politische Teilhabe ermöglichen, marginalisierten Stimmen Gehör verschaffen und jungen Menschen Austausch und Sichtbarkeit bieten. Doch es kann auch toxisch sein. So werden teilweise fragwürdige Rollenbilder repliziert, Cybermobbing kennt keine Pausen und Algorithmen pushen radikale Inhalte.
Droht durch ein Social-Media-Verbot ein Backlash-Effekt?
Aus wissenschaftlicher Sicht droht der klassische Verbots-Effekt: So wird das Verbotene nur attraktiver. Wer unter 16 Jahren kein TikTok nutzen darf, wird es sich heimlich besorgen – notfalls mit gefälschten Altersangaben. Und dann? Fehlende Medienkompetenz trifft auf mangelnde Kontrolle – das Ergebnis ist Unsichtbarkeit statt Schutz.
Was es stattdessen braucht?
Kritiker*innen fordern Prävention statt Verbote. Schulen müssen systematisch Medien- und KI-Kompetenz vermitteln – vom Volksschulalter bis zur Erwachsenenbildung. Plattformen sollen stärker reguliert und zur Transparenz gezwungen werden. Jugendliche müssen lernen, wie Algorithmen funktionieren, wie Inhalte entstehen und wie Meinungen manipuliert werden. Initiativen wie Saferinternet.at setzen genau hier mit Workshops, Unterrichtsmaterialien und Aufklärungskampagnen an.
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